Zwischen Mut und Maulkorb: Warum Greta Thunberg Hass erntet und die deutsche Linke versagt

Es ist nicht leicht, heute Haltung zu zeigen. Schon gar nicht, wenn diese Haltung unbequem ist. Greta Thunberg hat sich entschieden, unbequem zu bleiben.
Während viele sich wegducken oder schweigen, segelt sie mit der Madleen in Richtung Gazastreifen. An Bord: Hilfsgüter, Medikamente, symbolische Hoffnung. Ein Statement gegen das Verstummen, gegen das Wegsehen, gegen das globale Kollabieren humanitärer Werte. Dafür wird sie nun von genau jenen angefeindet, die sonst lautstark Gerechtigkeit und Menschenrechte fordern: von Teilen der deutschen Linken.

Wie kann es sein, dass eine Bewegung,
die sich einst mit den Entrechteten dieser Welt solidarisierte, heute eine junge Frau diffamiert, weil sie sich auf die Seite der zivilen Opfer stellt? Wie kann es sein, dass Menschen, die gegen Kapitalismus, Militarismus und Rassismus demonstrieren, applaudieren, wenn ein Land mit modernster Militärtechnologie einen eingekesselten Küstenstreifen in Schutt und Asche legt?

Der Gazastreifen ist kein souveräner Staat.
Er ist das, was man in jeder anderen Weltregion ein Ghetto nennen würde: dicht besiedelt, abgeriegelt, ohne Fluchtmöglichkeit. Die zivilen Opfer der Bombardierungen sind nicht die Hamas.
Es sind Kinder, Mütter, Alte. Wer behauptet, diese Menschen seien Kollateralschäden eines gerechten Krieges, hat seine moralische Kompassnadel verloren. Und wer Greta Thunberg dafür angreift, dass sie genau das benennt, macht sich mitschuldig an der Verleugnung dieser Realität.

Dabei macht Greta keine Politik. Sie liefert keine Waffen, sie baut keine Tunnel,
sie zündet keine Bomben. Sie bringt Milchpulver, Antibiotika, Wasserfilter.
Und dennoch ist der Hass auf sie grenzenlos. Er kommt nicht nur von rechts. Er kommt ausgerechnet aus jenen Kreisen, die sich noch vor wenigen Jahren an ihre Reden klammerten, um dem eigenen moralischen Anspruch ein Sprachrohr zu geben.

Ein Teil der deutschen Linken hat sich in eine Ecke manövriert, in der Kritik an israelischer Militärpolitik mit Antisemitismus gleichgesetzt wird. Diese Verkürzung ist nicht nur intellektuell unehrlich, sie ist auch gefährlich. Sie verunmöglicht einen differenzierten Diskurs – und damit die Grundlage jeder linken Politik. Wer Solidarität selektiv verteilt, verliert sie.

Es gibt eine historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Juden. Sie ist unantastbar. Aber diese Verantwortung darf nicht zur moralischen Erpressung verkommen. Sie darf nicht dazu führen, dass wir völkerrechtswidriges Verhalten gutheißen oder gar feiern. Die Besatzungspolitik Israels, die systematische Entrechtung palästinensischer Menschen, der Einsatz von Phosphorbomben – all das ist dokumentiert, angeklagt, aber in vielen linken Köpfen scheinbar unsichtbar. Weil man sich nicht traut, weil man Angst hat, falsch zu stehen.

Ich sage: Wer schweigt, steht schon falsch.

Ich bin gegen Terror. Gegen jede Form davon. Die Massaker der Hamas vom 7. Oktober waren abscheulich. Sie verdienen weltweite Verurteilung. Aber die Antwort darauf darf nicht Völkermord sein. Darf nicht das systematische Aushungern und Zerbomben einer eingeschlossenen Zivilbevölkerung sein. Wer das verteidigt, hat mit linker Ethik nichts mehr zu tun.

Und wer sich über Greta Thunberg lustig macht, weil sie "nicht weiß, was sie tut" oder "instrumentalisiert wird", entlarvt sich selbst. Denn Greta tut, was viele von uns verlernt haben: Sie hört zu. Sie sieht hin. Sie handelt.

Was bleibt, ist die Scham. Die Scham über eine deutsche Linke, die sich in moralisierender Selbstgefälligkeit einrichtet, während in Gaza Kinder unter Trümmern sterben. Die sich lieber mit Begriffen und Bekenntnissen beschäftigt als mit realem Leid. Die nicht merkt, dass ihre angeblich "antideutsche" Haltung längst ins Reaktionäre gekippt ist.

Ich schreibe diesen Text nicht, weil ich Antworten habe. Ich schreibe ihn, weil ich Fragen habe. Weil ich es nicht verstehe. Weil ich nicht will, dass Humanität von der falschen Seite kommt. Weil ich glaube, dass ein linker Kompass wieder ausgerichtet werden muss. Und weil Greta Thunberg mehr Haltung zeigt als ganze Bewegungen.

Vielleicht ist das das eigentliche Problem.


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